Bewegung ist Heilung
Kein anderer Lebensbereich senkt nachweislich das Risiko für so viele Erkrankungen wie die Bewegung. Und es sind nicht nur Erkrankungen des Bewegungsapparates auch z. B. Alzheimer, Depression, Makuladegeneration (Erkrankung des Auges, bis hin zur Erblindung), ADHS, Rheuma usw. gehören dazu.
Doch Bewegung vermag noch viel mehr. Selbst wenn wir bereits erkrankt sind, können wir mit Bewegung heilen. Das ist das große Metier des Physiotherapeuten. Wenn Menschen erkrankt in die Klinik kommen, ordnet der Arzt Physiotherapie an. Denn wir wissen, dass Menschen, die im Bett liegen, noch viel schwerer erkranken und vor allem Komplikationen entwickeln können.
Aber eigentlich erzähle ich hier nichts Neus. Das wissen wir doch alles schon, oder? Naja, ganz genau haben wir es doch noch nicht verstanden.
Warum reagieren manche Menschen sensibler auf die gesundheitsfördernden Einflüsse als andere? Oder umgekehrt, warum bekommt jemand bei einer ungünstigen Lebensweise schon mit 20 Jahren Diabetes mellitus oder eine Fettleber etc. während andere mit der gleichen Lebensweise erst mit 60/70 Jahren erkranken. Warum bekommen einige Menschen schon bei kleineren Belastungen eine Erschöpfungsdepression („Burnout“) und andere nicht? Und welchen Einfluss habe ich auf diesen Prozess? Lohnt es sich ins Fitnessstudio zu rennen, sich gesund zu ernähren, viel zu schlafen, sich regelmäßig zu entspannen, sich um soziale Kontakte zu bemühen – oder bin ich das Opfer meiner Gene?
Jetzt kommt die Epigenetik. Die Mikrobiologie liefert uns heute eine neue Sichtweise dieser Zusammenhänge. Vor allem lässt sie uns endlich die grundlegenden Mechanismen der Gesundheit besser begreifen und revolutioniert damit unser Verständnis.
Was ist Epigenetik – Der Versuch ein komplexes Thema einfach zu erklären
Gene sind DNA-Abschnitte, die für eine biologische Funktion in einer Zelle stehen. Es sind quasi die Baupläne für alle einzelnen Teilchen unseres Organismus. Doch woher weiß eine Muskelzelle bspw. was sie zu tun hat? Welchen Bauplan braucht sie um zu funktionieren? Und wer entscheidet, welchen Bauplan sie benutzt? Schließlich liegen in jeder Muskelzelle alle dieser Baupläne, nämlich 23.000 Gene. An dieser Stelle kommt die Epigenetik.
Die Epigenetik kann man sich als Steuerungszentrum unserer Gene vorstellen. Sie kontrolliert die Zelle und sorgt dafür, dass diese ihren Aufgaben nachkommt. Das Epigenom bestimmt die Identität der Zelle.
Und die revolutionären Erkenntnisse: Das Epigenom ist nicht starr. Und wenn wir zur Welt kommen, ist es auch nicht perfekt. Das Baby mit der perfekten Ausstattung, so wie wir uns das bisher vorgestellt haben, existiert nicht. Wir starten mit dem Bauplan, welchen uns unsere Vorfahren vererbt haben. Zudem bestimmen wir SELBST mit der Umwelt zusammen täglich aufs Neue welches Programm läuft. ICH entscheide mich Tag für Tag, welchen Bauplan meine Zellen realisieren.
Ein weiterer spannender Aspekt ist, unsere Handlungen und Umwelteinflüsse werden in Form eines zellulären Gedächtnisses gespeichert. Die Zelle erinnert sich.
In Bezug auf die Gesundheit, bedeutet das, dass unsere Vorfahren, wir selbst und die Umwelt immer wieder den Kurs neu ausrichten: Gesundheit oder Krankheit, wir entscheiden mit.
Gesundwerden – Gesundsein – Gesundbleiben ist eine AKTIVE Leistung. Es ist ein ständiges Entgegenwirken des natürlichen Prozesses der Alterung. Wenn wir passiv sind, werden wir schneller alt und krank. Körper und Geist müssen daran ARBEITEN jung und gesund zu bleiben.
Gesundheit ist ein lebenslanges, generationsübergreifendes Projekt und jede einzelne Entscheidung für die Gesundheit zählt. Es ist nicht Entweder-oder.
Wir passen uns unentwegt an unsere Umwelt an. Gesundheit ist ein kontinuierlicher Prozess.
Was passiert in der Zelle, wenn wir Sport treiben
2014 untersucht eine Forschergruppe an der Universität von Stockholm 23 untrainierte junge Probanden. Drei Monate lang, viermal die Woche mussten diese 45 Minuten lang einbeinig radeln. An speziellen Ergometern existierten nur eine Kurbel und ein Pedal. Ein Bein wurde trainiert, das andere war passiv. Das Ergebnis dieser Untersuchung: Beide Beine unterschieden sich an 5.000 Stellen des Erbguts. Das rechte bzw. linke Bein hatte nach drei Monaten Training ein neues Genaktivitätsmuster. Aus schlappen, untrainierten Fasern auf der einen Seite wurden effizient arbeitende Bündel, wie man sie von umfassend trainierten Athleten kennt. Der DNA Code blieb unbeeinflusst, aber seine Steuerung, also die epigenetische Gebrauchsanweisung war von Grund auf eine andere. Die Zellen hatten ein Stück weit ihre Bestimmung gewechselt. Der Zellstoffwechsel war ein komplett anderer geworden.
Der französische Wissenschaftler Romain Barres zeigte 2012, dass Sport die Molekularbiologie des Muskels bereits nach 20 Minuten Training veränderte. 20 Minuten haben gereicht um einen Effekt auf molekularer Ebene zu hinterlassen. Gleichzeitig war dieser Effekt umso stärker, je intensiver die Testpersonen in die Pedale getreten hatten.
Eine weitere Untersuchung von der Lund University in Malmö mit 23 unsportlichen Männern, die einen sechs monatiges Trainingsprogramm absolvierten, zeigte 7.663 Unterschiede im Erbgut einer Fettzelle. Hier änderten die Körperfettzellen nach sechs Monaten Training ihr Programm und stellten das „Fettspeichern“ ab. Das schafft der Schönheitschirurg mit der Fettabsaugung nicht.
Wenn wir Sport treiben, so zahlen wir jedes Mal ein auf eine Art „Gesundheitskonto“ ein. Und von diesem profitieren wir auch noch Jahrzehnte später. Wenn wir in der Jugend viel und gern trainiert haben, werden wir erst später krank.
Gleichzeitig vererben wir diese erworbene Gesundheit an unsere Kinder weiter und bestimmen somit ihre Widerstandskraft gegenüber der Umwelt.
Gesundheit ist kein Zustand, kein Ziel. Gesundheit ist ein Weg.
Auch Höhen und Tiefen gehören zu diesem Weg. Letztendlich ist das Entschiedenste, dass jene Entscheidungen für die Gesundheit überwiegen. Jedes Positive bedeutet, dass wir dem Altwerden immer und immer wieder kleine Portionen Widerstandskraft, Lebensfreude, Kontaktbereitschaft und Jugendlichkeit entgegenhalten können.
Es gibt keine universellen Regeln. Was der eine täglich an Sport braucht, kann für den anderen schädlich sein. Wir sind zu verschieden, nicht nur wegen unsere genetischen Anlagen, sondern auch wegen der unterschiedlichen Prägung. (Die Prägung findet ca. ein Jahr vor und ein Jahr nach der Geburt statt. Hier bestimmen die Mutter/die Bezugspersonen über die Gene des Kindes. Auch ein sehr spannendes Thema. Vielleicht später dazu mehr.)
Doch Tatsache ist, dass ein jeder von uns in seinen Rahmenbedingungen seinen Körper einsetzen muss.
Wie viel Bewegung brauche ich denn?
Hier müssen wir ehrlich mit uns sein. Das Gesundheitsrisiko, das mit acht Stunden sitzender Tätigkeit pro Tag einhergeht, kann nicht mit einem kleinen Spaziergang wieder gut gemacht werden. Um dem entgegenzuwirken, bräuchten wir mindestens eine Stunde täglich intensives, schweißtreibendes Training. Oder wir schrauben auf der anderen Seite. Wie schaffen wir es möglichst wenig zu sitzen. Sitzende Tätigkeit in Stehende und Stehende in Laufende umzuwandeln.
Also wie Sie sehen, erfordert es ein ambitioniertes Unterfangen.
Untrainierte Menschen, die noch nie in ihrem Leben Sport getrieben haben, fühlen sich mit dieser Aufgabe einfach überfordert. Hier empfehle ich, holen Sie sich Hilfe. Gehen Sie ins Fitnessstudio, melden Sie sich im Sportverein an und ganz wichtig suchen Sie sich Unterstützung (Familie, Freunde). Überlegen Sie sich, wie Sie mehr Bewegung in den Alltag integrieren können. Kündigen Sie ihrer Putzfrau, schaffen Sie sich einen Hund an, graben Sie immer wieder Ihre Beete um, helfen Sie Ihrem Nachbar beim Umzug, tragen Sie freiwillig Ihre Einkäufe usw. Sobald Sie Aktivität wittern, schreien Sie, „HIER, Ich will!“.
Auch möchte ich an dieser Stelle an alle Eltern, Erzieher, Lehrer appellieren: Fördern Sie sportliche Aktivitäten unserer Kinder. Jedes Kind MUSS sich jeden Tag mindestens 90 min. bewegen und dies am besten an der frischen Luft. Gehen Sie mit ihrem Kind zum Sportverein, suchen Sie gemeinsam eine passende Sportart aus. Bewegen Sie sich vielfältig, probieren Sie viele Sportarten aus.
Wer sich viel bewegt, kann sich kalorienreicher ernähren, hält mehr toxischen Stress aus und schläft tiefer und länger. Wir werden leistungsfähiger, aktiver, kommen beruflich weiter. Unsere Kinder lernen besser und sind ausgeglichener.
Vor allem aber bekämpft Bewegung das wohl verheerendste Verhalten des modernen Menschen: körperliche Faulheit!
Dank der mikrobiologischen Forschungsergebnisse gibt es keine Ausrede mehr. Es ist eine reine Frage der Verantwortung. Legen Sie ihre Faulheit ab, überwinden Sie Ihre Ignoranz, seien Sie mutig und übernehmen Sie endlich die Verantwortung.
Unser Handeln wirkt. Immer!